Bonifatiusroute Etappe 7: von Glashütten nach Nösberts-Weidmoos

Veröffentlicht am
Hoherodskopf
Hoherodskopf

Gegen halb sechs meint der Specht im Baum nebenan, es wäre Zeit, an die Arbeit zu gehen. Voll Wonne hackt er auf den armen Baum ein – und mitten in meine Träume. Nun denn. Die Sonne kriecht gerade über den Horizont und es ist hell draußen. Warum also nicht auch aufstehen. Da ich ja mitten im Wald bin, baue ich als erstes das Zelt ab und packe alles weitgehend zusammen. Als aufgeräumt ist, mache ich mich ans Frühstück. Warmer Porridge und ein heißer Kaffee wecken die Lebensgeister und wärmen auf.

Danach wird eingepackt und ich mache mich kurz nach acht auf den Weg. Unterm Strich hab ich länger gebraucht als vermutet, aber da ich es ja nicht eilig habe, ist das völlig in Ordnung.

Noch ist es wegen der tiefstehenden Sonne recht frisch und so laufe ich – wieder mit Kapuze – einigermaßen zügig los und freue mich über den ersten Anstieg. So wird es warm. Nach nicht mal 300 Metern läuft vor mir auch schon das erste Reh über den Weg. So hab ich mir das vorgestellt mit dem Wandern!

Und dann kommt eine Lichtung, auf der die Sonne ihre ganze morgendliche Kraft entfalten kann. Den ersten Blick auf den Hoherodskopf gibt’s dazu. Jetzt ist also Vogelsbergkreis angesagt. Hui, da fällt mir doch glatt die Warnung des älteren Herrn auf Etappe 3 wieder ein und ich muss grinsen.

Ich komme super voran und dank viel Wald läuft es sich auch wieder phantastisch. Da ich heute nur überschaubare 22km vor mir habe, kann ich mir eigentlich alle Zeit der Welt lassen – aber es läuft sich halt einfach gut. Ich nehme mir vor, in einem der nächsten Orte noch irgendein Mittagessen zu kaufen. Ich hab zwar meine üblichen Snacks in Form von Studentenfutter, Wasa-Knäcke und Gummibärchen dabei, aber was Frisches wär ja auch irgendwie schön. Allerdings führt die Route heute zwar herrlich durch Wald, umgeht dabei aber sämtliche Dörfer, die am Wegrand liegen würden. Auf einen Umweg hab ich zunächst erst mal keine Lust und so laufe ich weiter. Bei dem Tempo bin ich ratzfatz im nächsten größeren Ort, wo die Route durchgeht. Da ist die Chance auf Essbares eh größer als in den kleinen Dörfern.

Oberhalb von Burghards komme ich um eine Kurve gelaufen und stehe auf einmal vor einem Schwelbrand. Hmmm… ob das so muss? Weit und breit ist keine Menschenseele zu sehen und kleine Brandherde glimmen die gesamte Böschung rauf. Rundherum genug brennbares Material und genug Wind geht auch, dass das hier irgendwie auch leicht schiefgehen kann.

Ich mache mir etwas Sorgen und google nach der örtlichen Feuerwehr. Nachfragen schadet ja sicher nicht, denke ich mir. Es klingelt und klingelt, aber bei der freiwilligen Feuerwehr geht keiner ans Telefon. Wenig hilfreich. (Spoiler: es wird auch nie jemand zurückrufen.) Während es noch klingelt, kommt plötzlich ein Auto angefahren. Der Fahrer erklärt mir, dass ich die Feuerwehr nicht zu rufen brauche, das hätte hier schon seine Richtigkeit. Der Ort sei extra dafür da, dass da Zeug verbrannt wird. Es käm dann später jemand, um nach dem rechten zu sehen. Ähä. Er fährt unbesorgt weiter, ich lege auf, wische meine Zweifel weg und gehe weiter. Die werden hier hoffentlich wissen, was sie tun.

Der Morgen präsentiert sich ländlich idyllisch und friedlich. Kein Mensch unterwegs, ich teile mir die Landschaft praktisch nur mit ein paar Kühen.

Nach halb elf bekomme ich langsam ein Hüngerchen und es wird Zeit für ein zweites Frühstück. Wie praktisch, dass ich just auch an einem sehr schönen Rastplatz vorbeikomme. So lässt es sich herrlich zweitfrühstücken.

Zum Glück stehen die Bänke in der Sonne, denn der heute eher kräftige Wind bläst ordentlich frische Luft von den Bergen herunter. Sobald ich also sitze und nicht wandere, wird es kühl. Ich hole das erste Mal beim Wandern die Fleecejacke raus und lasse sie auch beim Loslaufen noch einen Moment an.

Bald darauf hab ich so annähernd den höchsten Punkt der Bonifatiusroute erreicht und laufe in geringer Entfernung um den Hoherodskopf herum. Irgendwie beeindruckend: heute Morgen tauchte er gerade so am Horizont auf – jetzt ist es Mittag und ich laufe drum herum. Schön, wenn man Erfolg sehen kann :)

Es ist gerade mal Mittag und ich hab mehr als die Hälfte der Strecke hinter mir. Da trifft es sich gut, dass ich meinen Teamcall habe und dafür ein Stündchen Pause machen muss. Wenn hier nur Empfang wäre! Seit gut einer Stunde laufe ich ohne oder mit marginalstem Empfang über die Berge. So wird das schwierig. Ich finde ein Plätzchen, wo ich es mir beim Telefonieren gemütlich machen kann und wo immerhin ein kleiner Balken und ein E am Telefon auf Verbindung hoffen lassen. Living on the Edge… das mit dem Videocall wird heute jedenfalls nix. Nicht mal ein Foto bekomm ich ans Team geschickt. Na gut, geht auch ohne.

Eine Stunde später mach ich mich wieder auf den Weg – es geht praktisch stetig bergab. Unterwegs taucht immer mal wieder ein kleiner plätschernder Bach auf – ein Wegweiser zur dazugehörigen Quelle lässt mich optimistisch Wasser aus dem Bach auffüllen. Hier oben gibt’s weder Industrie noch Weideflächen – und nix geht über frisches Quellwasser. Wie passend, dass auch noch ein weiteres Reh meinen Weg kreuzt.

Sodann komme ich nach Ilbeshausen, dem heute Morgen schon anvisierten größeren Ort, durch den die Bonifatiusroute führt. Ilbeshausen hat immerhin gute 1.000 Einwohner. Ich freue mich schon drauf, mir etwas frisches zu essen zu kaufen.

Gleich am Ortseingang wird auf eine Kurklinik hingewiesen, kurz darauf komme ich an einem Hotel mit Gasthaus vorbei. Ich frage die Wirtin, ob sie etwas Leitungswasser für mich hätte und sie füllt mir bereitwillig meine Flasche auf. Dann frage ich nach einem Supermarkt. Nein, sowas gäb’s hier nicht. Ich verbessere mich und erkläre, dass mir also irgendeine Einkaufsgelegenheit genügt, ein Tante Emma Laden oder sowas. Nein, sowas gäb’s hier nicht. Wenn ich Glück hätte – welcher Tag sei heute? Freitag? – ja, dann müsste wahrscheinlich der Fleischer offen haben.

Puh. Das muss ich erst mal sacken lassen. Ich gehe weiter durch den Ort. Es gibt sogar einen Campingplatz – aber der ist dank Corona nur für Selbstversorger offen. Also Wohnwagen, aber keine Zelte. Ein ausgeschildertes Café kann ich nicht fnden (jedenfalls sieht nichts an dem Wohnhaus nach Café aus) und beim Fleischer gibt’s Wurst und Fleisch, aber keine Snacks oder sowas. Dafür gibt’s im Ort noch Fußpflege, Zahnarzt, mehrere Banken und Versicherungen und noch eine ganze Menge mehr – nur keinen Tante Emma Laden. Verrückter Ort.

Doch dann komme ich am Babbel-Café vorbei. Ich hole mir ein Stück Erdbeertorte und einen Kaffee und setze mich in den Garten. Praktisch, denn ich muss eh gleich noch einen Call machen. Ich komme mit der Wirtin in Schwatzen (also ins Babbeln) und erfahre, dass sie eigentlich aus der Nähe von Frankfurt kommt und selbst auch mal gepilgert ist. Auf dem Jakobsweg und dann noch auf dem Lutherweg. Und dass ihre Freundinnen, mit denen sie hier eigentlich eine Alten-WG aufmachen wollte, sie haben sitzen lassen. Eins führt zum anderen und auf einmal dämmert ihr, was es doch für eine tolle Idee wäre, aus dem Haus mit den vielen Zimmern eine Wanderherberge zu machen. Also… falls ihr hier mal vorbeikommt… gerne im Babbel-Café reinschauen :)

Zwei Stunden und zwei Kaffee später geht’s mit noch einem Nougatkeks im Gepäck weiter. Weit ist es ja nicht mehr bis zum heutigen Ziel, keine 5km mehr. Das letzte Stück geht es auf kleinen Straßen über Felder und Wiesen. Das mit dem Waldboden war schöner – aber die letzte Dreiviertelstunde bekomm ich so auch noch locker rum.

Und dann bin ich auch schon in Nösberts-Weidmoos. Komplizierter Name, aber unkomplizierte Menschen. Ich habe eine Adresse und frage den erstbesten Menschen in einem Garten danach. Ratloses Gesicht. Was denn da sein solle? Das Julinghaus. Aaah, ja klar. Das sei da oben die Straße lang, der alte Bahnhof an der ehemaligen Bahnstrecke.

Flugs die Straße rauf und da taucht am Horizont auch schon das Julinghaus auf. Ein katholisches Selbstversorger-Jugendhaus, das derzeit wegen Corona geschlossen ist. Das Bistum Mainz, unter dessen Verwaltung es steht, hat mir aber freundlicherweise erlaubt, trotzdem mein Zelt dort aufzustellen.

Die Anlage ist mega. Es gibt einen gemütlichen Grillplatz, einen Lagerfeuerplatz, einen Spielplatz und viel Grün. Und das beste: ich hab alles ganz für mich alleine :)

Ich baue zunächst mal mein Zelt auf der Wiese auf und dann genieße ich meinen Nougatkeks und lasse mir die Abendsonne ins Gesicht scheinen. Später richte ich mich am Grillplatz ein, denn der Wind hat ordentlich aufgefrischt und im Steingrill steht mein Kocher windgeschützt. Heute gibt’s das Carbonara-Pendant zur Bolognese gestern. Kein Highlight, aber doch deutlich besser als das gestern.

Einen Kaffee gibt’s auch wieder dazu und dann genieße ich den Abend und fühle mich pudelwohl.

Inzwischen ist es auch dank des Windes ziemlich kalt geworden. Laut Wetterbericht soll es nachts auf 6 Grad abkühlen. Hui. Ist halt doch noch kein Sommer. Mit den letzten Sonnenstrahlen mache ich mich bettfertig und dann geht’s ab ins Zelt.

155km down, 28km to go.

Andenken des Tages: ein Nougatkeks – und selten hat ein Nougatkeks besser geschmeckt

Erkenntnis für den PCT: Nichts geht über die Begegnungen mit freundlichen Menschen – und nach zwei Tagen Instant-Kaffee schmeckt auch Vollautomaten-Kaffee wieder gut ;)

Gesamtstrecke: 23.4 km
Gesamtanstieg: 447 m
Gesamtabstieg: -317 m
Gesamtzeit: 09:04:40

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert