Nachdem ich gestern so spät erst eingeschlafen bin, werde ich heute unsanft vom Wecker geweckt. Obwohl es grad mal halb sieben ist, kommt keine drei Minuten nach dem Weckerklingeln schon der erste Radfahrer vorbeigerauscht. Ich murmle ihm ein verschlafenes Guten Morgen aus meinem Schlafsack entgegen und dann ist er auch schon wieder außer Sicht. In der Nacht war irgendwas rund um meinen Unterstand aktiv – wahrscheinlich ein Reh oder Fuchs oder so. Ich hab nicht nachgeschaut. So früh am Morgen sind die Temperaturen fast noch frisch und so genieße ich meine mitgebrachten kleinen Zimtschnecken zum Frühstück auf der Sonnenseite der Hütte. Dazu gibt’s eine Instant Heiße Schoki mit einem Instant Kaffee gemixt – natürlich kalt, weil ich wieder mal keine Lust habe, erst noch den Kocher anzuwerfen. Dann wird schnell gepackt und dann bin ich auch schon wieder auf dem Rothaarsteig unterwegs. Das Ziel für heute: die Ferndorfquelle.
Zunächst geht es einen Bergrücken entlang – aufgrund der vielen dem Borkenkäfer zum Opfer gefallenen Bäume mit Weitsicht in alle Richtungen. Kurz darauf komme ich an der Zwillingsbuche vorbei. Diese hat es offenbar schon vor einiger Zeit entschärft und nun ist sie… ja, was eigentlich? Ein Krokodil? Ein Drache? Na ja, ein Baumodil eben.
Nur ein kurzes Stück weiter weist ein Schild auf die Kaffeebuche. Wie sich zu meiner großen Enttäuschung schnell herausstellt, wächst an der kein Kaffee. Also weiter. An der Diethölztaler Hütte vorbei (zu eng, um drin zu schlafen, falls sich das jemand fragt) und gleich danach über den höchsten Punkt im Lahn-Dill-Kreis. Dieser hat nur schwerlich erklimmbare 673,1 Meter und liegt genau auf der Landesgrenze Hessen/NRW.
Etwas weiter komme ich an der Ilsequelle vorbei, wo eine Dame gerade Wasser in große Karaffen abfüllt. Später soll ich erfahren, dass das Wasser aus dieser Quelle irgendwelche besonderen Inhaltsstoffe hat, die gerüchtehalber gesund und fit und wahrscheinlich auch jung und schön machen. Mist, ich laufe einfach dran vorbei, weil ich noch genug Wasser habe und heute noch diverse Quellen auf dem Weg liegen. Spoiler: die haben keine besonderen Kräfte.
Lustig wird es, als ich kurz darauf an eine Furt komme – um den seit der Quelle zu einem (fast) reißenden Strom angewachsenen Bach zu queren.
Es ist Zeit für eine Snackpause und die Liegebank im Schatten, am Ende des Märchenwanderwegs Kleiner Rothaar, kommt da gerade richtig. Es ist neun Uhr am Morgen und ich hab erst sieben Kilometer geschafft – aber dafür hab ich die Tour bis hierher auch wirklich genossen.
Nach der Stärkung geht’s weiter und nun vereint sich der Rothaarsteig mit dem E1, dessen Abschnitt im Taunus ich ja auch schon wandern durfte. Mir kommt eine Frau entgegen, die auf den ersten Blick als Thru-Hikerin erkennbar ist. Großer (aber dann eben doch kleiner) Rucksack, Altras mit Staub-Gamaschen, Sun Hoodie, Gesamteindruck eher nicht wie frisch ausm Waschsalon. Wir taxieren uns kurz mit Blicken, grinsen beide und schnacken. Ihr Trail Name ist Monika Heidschnucke und sie geht den Nord-Süd-Trail. Ich möchte natürlich alles darüber wissen. Interessanterweise ist sie gar nicht so sehr begeistert davon, weil sie sagt, dass die Wegführung teilweise ziemlich ätzend und insbesondere im Norden extrem Asphalt-lastig ist. Sie hat beschlossen, aus dem Thru-Hike lieber Section Hikes zu machen und sich nur noch die „Filetstücke“ des Nord-Süd-Trails rauszupicken. Den Rheinsteig zum Beispiel, den hat sie sich als nächstes vorgenommen.
Wir verabschieden uns und gehen weiter in entgegengesetzte Richtungen. Die Wegweiser lassen die Vorfreude wachsen, denn voraus liegt ein Lahngasthof. Als ich dort vorbeikomme, ist die Enttäuschung groß – die machen erst später auf. Warten geht nicht, ich hab noch mehr als 20 km vor mir. Also ohne Cola weiter. Mir begegnet ein älteres Paar, das leicht verzweifelt auf der Suche nach dem Lahnwanderweg ist. Sie wären an einer Bushaltestelle ausgestiegen, wo der Weg anfangen sollte, aber da war nix ausgeschildert. Ich erinnere mich leider nicht an die von ihnen beschriebenen Wegmarkierungen, aber immerhin kann ich ihnen sagen, wie sie zum Lahngasthof kommen – da soll wohl der Weg sein. Nun denn.
An der (kaum zu sehenden) Ilmquelle vorbei geht es weiter und ich komme an der Waldgitarre vorbei. Na nu? Tatsächlich… die Saiten kann man… na ja… spielen. Irgendwie.
Nun ist es nur noch ein kleines Stück bis zur Siegquelle. Diese ist wirklich schön gemacht und kommt grad recht. Ich fülle Wasser auf und trinke eine Menge, sozusagen auf Vorrat. Und ich esse ein paar Riegel, schließlich ist Mittagszeit. Eine Radfahrerin kämpft sich mühsam und keuchend den steilen Berg hinauf – gefolgt von einer Gruppe gut beleibter Männer, die schwatzend und lachend auf ihren Rädern bergauffahren. Angetrieben vom angestrengten Surren ihrer E-Bike-Motoren. Wenn noch mal jemand behauptet, dass E-Bikes ja nicht alleine fahren würden, werde ich mir einen bissigen Kommentar wohl nur mit viel Mühe verkneifen können.
Kurz hinter der Siegquelle laufe ich dann doch tatsächlich direkt an einem Gasthaus vorbei, das ich überhaupt nicht auf dem Schirm hatte. Verdammt, warum hab ich eigentlich grad Riegel zum Mittag gegessen?? Aber was soll’s – die Gelegenheit kann ich mir natürlich nicht entgehen lassen. Ich setze mich auf die schöne Terrasse und quatsche kurz mit einem Pärchen aus Holland. Dann wird es mir zu heiß in der Sonne und ich verziehe mich nach drinnen. Mein Kaffee und meine Cola finden alsbald den Weg an meinen Tisch – nur das bestellte Stück Erdbeertorte lässt doch ungewöhnlich lange auf sich warten. Als sich der Gastwirt dann mit seiner Familie zum Essen niederlässt, frage ich doch mal nach… und bekomme doch noch meine Torte. Mit vollem Bauch und frisch geladenem Handy mache ich mich wieder auf den Weg. Zweimal – denn beim ersten Mal vergesse ich doch glatt meine Wanderstöcke. Fällt mir zum Glück direkt vorm Gasthaus auf. Irgendwas fehlte halt.
Auf dem weiteren Weg stehe ich plötzlich vor gewaltigen Blowdowns. Wow, was ist das denn? In einem deutschen Wald? Hier scheinen gerade erst Baumfällarbeiten passiert zu sein – und die Bäume wurden einfach quer über dem Weg liegengelassen. Das ist mal krass. Ein Radfahrer auf der anderen Seite des ziemlich ausschweifenden Baum-Hindernisses zeigt mir, wo ich dran vorbeikomme. Wir quatschen kurz, was jeder so vorhat, dann fährt er weiter. Ich komme über einen Berg und sehe im Tal unten einen Ort, der sich auf der anderen Seite den Berghang hinaufzieht. Aus dem Tal erklingt der liebliche und so typische Klang eines Eiswagens. Leider ist der viel zu weit weg und fährt viel zu schnell, als dass meine kurzzeitig aufgeflammte Freude auf Eis länger als ein paar Sekundenbruchteile Bestand hätte. Na gut… ich hatte ja grad Erdbeertorte. Wer braucht da schon Eis. Besonders, wenn es nur knappe 30 Grad hat und man erst 15 km geschafft hat. Also wandere ich den Berg hinab, quere die Straße und laufe andere Seite den Berg wieder hinauf, mitten durch Benfe. So heißt der Ort nämlich. Und er hat eine ganz ordentliche Steigung zu bieten. An deren oberen Ende – ich traue meinen Augen kaum – steht der Eiswagen! Verdammt – ich kann nicht schneller laufen und tue es trotzdem. Und jawohl, ich komme am Eiswagen an, grad als der letzte in der Schlange sein Eis bekommen hat. Juhu! Kaum habe ich mein Eis in der Hand, spricht mich jemand von hinten an – der Radfahrer von den Blowdowns. Er bietet mir einen Platz neben sich im Schatten an – der sich unter einem Getränkekühlschrank an einem Gartenhäuschen befindet. Trail Magic!! Wie cool ist das denn bitte?
Wir unterhalten uns ein ganzes Eis lang – und dann ziehen wir wieder in unseren so unterschiedlichen Geschwindigkeiten weiter. Es ist immer noch heiß, aber zumindest geht es jetzt wieder in den Wald. Bis es halt kein Wald mehr ist. Der Weg geht nun über Forststraßen. Und mehr Forststraßen. Und dann noch weiter über Forststraßen. Puh. Dann endlich ist wieder Wald da und ich komme an der nächsten Quelle vorbei. Ich habe allerdings noch genug Wasser und lasse sie aus. Zwischendrin noch schnell ein Call, der mich mangels Empfang dankenswerterweise zwingt, eine Pause einzulegen – wie praktisch, dass da auch gerade eine Bank zum Sitzen ist.
In Lützel, dem nächsten Ort, durch den ich komme, quere ich unten im Tal die Hauptstraße und sehe ein Schild, das auf einen Imbiss in 200m Entfernung hinweist. Yeah – richtiges Essen klingt verlockender als Ramen und 200m Umweg sind gerade noch im Toleranzbereich. Ok, 400 mit Rückweg. Dummerweise hatte der Imbiss-Besitzer offenbar ein nicht ganz intaktes Maßband, denn seine 200m entpuppen sich als locker 250m, wenn nicht eher 300. Mittlerweile tun die Füße weh, besonders so auf Asphalt. Der Imbiss ist… na ja – und ich entscheide mich für was, womit man nix falsch machen kann. Es gibt Knoblauch Naan Brot, das sich als erstaunlich lecker rausstellt. Ein Minz-Dip ist auch noch dabei.
Zurück auf dem Rothaarsteig geht natürlich erst mal wieder bergauf. Ein Blick zurück auf Lützel und dann ab zum nächsten Highlight, denn die Wegweiser schildern schon eine Weile den Gillerbergturm aus. Bevor ich dort ankomme, geht es aber erst mal noch durch ein Skigebiet. Plötzlich komme ich an einem besonderen Meilenstein vorbei: 55km Rothaarsteig hinter mir – und glatte 100km vor mir.
Endlich wieder durch Wald geht es dann zum Gillerbergturm. Ich steige auf bis zur ersten Aussichtsplattform, dann wird es mir zur höhenangstig und steige wieder ab. Unten bricht gerade ein Paar auf, das vor mir auf dem Turm war und ich habe die Welt gefühlt wieder für mich alleine.
Nun sind es nur noch gute vier Kilometer bis zu meinem heutigen Ziel, der Schutzhütte an der Ferndorfquelle. Und wieder geht es über Forststraßen. So langsam finden meine Füße das doof. An der Quelle angekommen, fülle ich mein Wasser noch auf und gehe dann die paar Schritte zur Schutzhütte. Darin sind bereits zwei Wanderer – ein junges Pärchen, deren Rucksäcke sehr nach Mehrtagestour aussehen. Und ja, sie bestätigen, dass sie die Nacht in der Hütte verbringen wollen. Nun denn – das Wetter ist gut und kein Regen in Sicht, also frage ich kurz, ob sie was dagegen hätten, wenn ich mich neben der Hütte einrichte. Haben sie natürlich nicht. Sie machen sich auf der Picknickbank nebenan ihr Abendessen und ich setze mich dazu. Eigentlich hab ich ja schon mein Naan Brot gegessen, aber wenn ich den beiden so zuschaue, wie sie ihr Kartoffelpüree zubereiten, kriege ich doch noch mal ein Hüngerchen und esse noch einen Riegel. Was soll’s – macht den Rucksack leichter :)
Wir schnacken noch eine Weile und dann ist Schlafenszeit. Ich verzichte aufs Zelt und lege mich schlafen. Eine Weile ärgern mich noch winzigkleine Stechviecher, dann ist es mir egal und ich schlafe. (Jedenfalls, bis nachts um halb drei noch ein Auto vorbeigefahren kommt – wtf?)
Gesamtanstieg: 663 m
Gesamtabstieg: -644 m
Gesamtzeit: 11:30:15