Heute geben wir dem Franzosen in unserem Zimmer bis eine Viertelstunde vor Frühstück Zeit, freiwillig aufzustehen. Dann wird er gnadenlos geweckt, weil wir aufstehen. Nahrungsaufnahme geht ganz klar vor Mitbewohner-Solidarität. Es scheint ihn zum Glück nicht zu stören. Das Aufstehen klappt heute den ersten Tag ohne den Schmerzensschrei aller Muskeln – jippie, sie haben den Kampf endlich aufgegeben!
Das Frühstück sieht aus wie immer, aber die Runde ist die gleiche witzige wie gestern beim Abendessen. Anschließend packen wir ganz in Ruhe unsere Sachen, denn im Wanderführer der Schweizer haben wir gestern gesehen, dass die vor uns liegende Etappe nach Marla nahezu entspannt aussieht. Fast wie ein Ruhetag. Wir haben uns für die nicht nur kürzere, sondern auch noch landschaftlich schönere Strecke des GR-R3 über Trois Roche entschieden und folgen nicht dem GR-R2 über La Nouvelle. Die Schweizer brechen mit uns zusammen auf und gehen den Weg sogar gemeinsam mit uns – trotz unserer Warnung, dass sie sich recht bald mit uns langweilen dürften.
Aus dem Ort heraus geht es direkt an die Wand und dann – was sonst – erst einmal anständig bergauf. Allerdings nimmt sich der Anstieg im Vergleich zum Vortag regelrecht handzahm aus – oder liegt das am unweigerlich einsetzenden Trainingseffekt? Jedenfalls lassen uns die Schweizer erwartungsgemäß bald hinter sich, aber wir nutzen die ruhige Etappe und das schöne Wetter auch, um mal wieder ein paar mehr Fotos zu machen.
Beim Aufstieg können wir den ersten Blick auf unser Fernziel, den Piton des Neiges, genießen. Das Wort Fernziel ist dabei irgendwie zweideutig – denn es ist zwar entfernungstechnisch noch sehr fern, aber irgendwie wollen wir bereits übermorgen dort oben sein. Und wieder einmal nötigen uns die Cirques einigen Respekt ab. Wir lassen uns aber nicht entmutigen, sondern steuern weiter unser heutiges Mittagspausenziel Trois Roches an. Unterwegs queren wir öfter kleinere Rinnsale, die wir uns besser nicht zur feuchteren Jahreszeit vorstellen. Insbesondere, als wir uns mit den Rucksäcken irgendwann unter einem Felsüberhang durchhangeln müssen, um über einen Wassergumpen kurz vorm Wasserfall auf einen erhöhten Stein zu gelangen, malen wir uns lieber keinen erhöhten Wasserstand aus. Alles geht aber gut und ein entspanntes Stück Wandertour weiter sind wir auch schon an Trois Roches und können unsere Mittagspause an diesem wirklich schönen Fleckchen Erde genießen.
Auch die Schweizer treffen wir hier wieder. Wir halten noch eine Weile unsere Füße in das eiskalte Wasser und dann starten wir zur zweiten Hälfte der Etappe. Es geht zunächst recht eben am Fluss entlang, aber bald steigen wir wieder eine Wand hinauf. Deprimierenderweise geht es auf der anderen Seite der Wand direkt wieder hinunter – zum gleichen Fluss, von dem wir eben gekommen sind, nur eben eine Biegung weiter. Na klasse. Es drängt sich schon die Frage auf, ob das nicht auch einfacher gegangen wäre, aber so sind sie halt, die Reunionesen ;-) Unser ständiger Begleiter auf der Tour ist der Ausblick auf unser finales Ziel, den Piton des Neiges.
Der Rest der Strecke verläuft weiterhin recht entspannt, allerdings sehr sonnig, was sich später in einem ordentlichen Sonnenbrand bemerkbar machen soll. Bereits vor drei Uhr erreichen wir unser Etappenziel Marla. Bevor wir unsere Gite-Besitzer behelligen (zum guten Ton gehört, nicht vor drei Uhr an der Gite zu klopfen), finden wir die örtliche Bar und da die Schweizer auch schon dort sitzen, lassen wir uns natürlich nicht lumpen ;-)
Später gesellen sich Nikki und Robert aus Trier dazu, die in der gleichen Gite sind wie wir, so dass wir ein ganz geselliges Ründchen abgeben. Bei Bier studieren wir die Karte und den für morgen anstehenden Weg. Dieser ist eigentlich ganz einfach: hoch auf den Col du Taibit und dann runter bis Cilaos. Wir erfahren noch, dass man das letzte Stück bis Cilaos hinein auch bequem mit dem Bus zurücklegen kann, aber selbstverständlich verbietet uns das unser Stolz. Heute jedenfalls noch.
Später gehen wir in unsere Gite und beziehen unser Doppelzimmer. Die Gite besteht aus mehreren kleinen Bungalows, wo sich jedweils ein 4-Bett- und ein Doppelzimmer das Bad teilen.
Wir sind die einzigen Bewohner in unserem Bungalow, deswegen haben wir heute sozusagen die Luxusunterkunft mit eigenem Klo und Dusche. Die Dusche wird nach ein bisschen Vorlaufzeit auch richtig schön warm und anschließend fühlen wir uns mal wieder wie neugeboren. Ein Grund mehr, zurückzugehen und die Zeit, die die Wanderklamotten auf der Wäscheleine zubringen, in der Bar zu verbringen. Hätten wir die Knipse mitgenommen, könnten wir jetzt ein Bild vom rotglühenden Piton des Neiges zeigen – hatten wir aber natürlich nicht. Sah trotzdem klasse aus.
Zum Abendessen gibt es mal wieder einen Weißkohlsalat und Cari Poulet, also Axtmörderhuhn. Beides sehr lecker und zum Dessert gekrönt von einem Bananenkuchen. Ach ja, und Rhum Arrangé, aber das war die fieseste Kreation auf der ganzen Tour bisher.
Gesamtanstieg: 1044 m
Gesamtabstieg: -503 m
Gesamtzeit: 06:09:45