Ich werde kurz vorm Weckerklingeln von selbst wach und stelle fest, dass die Frottee-Bettwäsche zwar immer noch duftet, ich ansonsten aber überraschend gut geschlafen hab. Die Füße tun selbstverständlich weh, das rechte Knie auch, wie ich beim Aufstehen feststelle, aber ansonsten geht’s mir blendend. Die Morgenroutine ist auch mit Klo aufm Gang inzwischen schnell erledigt und dann geht’s zum Frühstück. Ich bin gespannt und hab ehrlich keine Ahnung, was ich erwarten soll.
Der große Frühstücksraum sieht aus, als hätte ihn seit Monaten niemand mehr genutzt – der einzige gedeckte Tisch ist der für mich. Und der Einfachheit halber ist das auch keiner am Fenster mit Aussicht, sondern eben der am Eingang zur Küche. Nja… ;)
Dafür ist das Frühstück einfach aber nett angerichtet und neben meinem üppigen Brotkorb liegt direkt eine Rolle Alufolie. „Packen Sie sich ruhig was für unterwegs ein – wir müssten es eh wegschmeißen“. Da wird mir das erste Mal so richtig bewusst, was die sicherlich sinnvollen Corona-Hygienevorschriften für fürchterlich verschwenderische Nebenwirkungen haben. Ich lasse mir das Frühstück schmecken und packe mir noch ein üppig belegtes Brötchen für den Weg ein. Dann noch schnell beim Losgehen im Biergarten zahlen – und auf geht’s nach Sayn. Heute liegen nur 17 Kilometer vor mir – das geht ja praktisch als Erholungstag durch.
Beim Losgehen stelle ich fest, dass es hier am See arg frisch morgens ist. Die Sonne hat es noch nicht über die Berge geschafft und der Nebel liegt dick in den Tälern. Da ich mich beim Start gegen die Jacke entschieden hatte und es heute auch ausgerechnet mal nicht direkt steil bergauf geht (wer kann denn bitte damit rechnen??), lege ich flugs einen Schritt zu, um warm zu werden. Nach einem knappen Kilometer kommt dann endlich der erwartete Anstieg und das mit dem Frösteln hat sich schnell erledigt.
Ich komme heute super voran, obwohl ich mich nicht mal beeile. Aber irgendwie läuft es sich gut. Vielleicht hat ja das Training mit Markus geholfen, hihi. Mitten im Wald gönne ich mir daher ganz bewusst eine Pause an einer Bank, setze mich eine Weile hin, trinke was und genieße einfach das Rumsitzen. Na ja… jedenfalls ein paar Minuten lang. Dann wird es prompt wieder kühl und ich gehe lieber weiter.
Wegweiser behaupten, es seien nur noch sieben Kilometer bis Sayn. Ja, das kann sayn (höhö) – aber hier ist wieder so ein fieser Trick des Rheinsteigs: in Sayn biegt der Weg ab, dreht eine große Schleife um den Ort (natürlich über die Berge), und kehrt dann zurück. Natürlich hab ich mir den hinteren Zugang zum Ort ausgesucht, denn sonst wäre die Etappe heute noch kürzer und die nächste noch länger.
Noch ein Abstieg, ein Stück über Wiesen und dann stehe ich am Rand von Neuwied, wie mir einer der typischen Reinsteig-Aufsteller verrät – und der gleichnamige Zoo. Kurz überlege ich, ob der kurzen Etappe heute, in den Zoo zu gehen – aber das hole ich vielleicht doch lieber mal nach, wenn ich mehr Ruhe habe.
Entlang des Zoos laufen hinter mir drei mittelalte Gestalten, die sich lautstark übers Gendern, Frauen in der Armee und ähnliches unterhalten und sich leider immer mehr in Emotionen und immer weniger in Argumenten ergehen. Ich lege erst einen und dann zwei Schritte zu, um dem zu entfliehen – leider sind die drei gar nicht mal so unfit ;)
Kaum eine halbe Stunde weiter, stehe ich schon wieder im nächsten Ort – und diesmal ist es schon Sayn. Der Ort begrüßt mich mit einem Biergarten, in den ich beschließe einzukehren (und die drei Gestalten, die kurz nach mir wieder auftauchen, zum Glück nicht). Ein Blick in die erstaunlich große Karte lässt mich zur Bruschetta greifen – die sich als erstaunlich üppig und unfassbar lecker rausstellt. Ich bin nicht sicher, ob ich eine Bruschetta schon mal dermaßen genossen hab.
Mjam!
Kurz danach komme ich in den Schlosspark. Hier führt der Weg ein kleines Stück hindurch, vorbei am Schmetterlingsgarten (ich sehe aber keine Schmetterlinge). Danach geht es am Schloss vorbei und wieder den Berg hinauf – und praktisch auf direktem Weg zur Burg. Hier bin ich zwar gefühlt die einzige Wanderin, aber nicht die einzige, die die Aussicht genießt.
Nach der Burg geht es weiter bergauf. Und dann bergab und dann wieder bergauf. In engen Serpentinen, weil es so steil ist. Leider hat das Telefon davon nur die Hälfte mitgeschnitten und so die Tagesetappe mal locker um einen Kilometer gekürzt. Püh!
Gerade fotografiere ich auf einer kleinen Brücke einen kleinen Bach und freue mich, dass es von hier unten gleich wieder steil rauf geht, da höre ich Hundegebell. Laut. Sehr laut. Von vielen Hunden. Und es kommt schnell näher. In dem Moment sehe ich auch schon sechs bis acht Hunde auf mich zurennen (so schnell konnte ich nicht zählen). Mir rutscht das Herz in die Hose, ich nehme die Wanderstöcke in Verteidigungshaltung und höre beim Blick in lauter gefletschte Hundeschnauzen schon mein letztes Stündlein schlagen – da werden die Hunde endlich zurückgepfiffen. Sie bleiben stehen und bellen mich nur noch grimmig an. „Keine Angst“ tönt es mir von Frauchen entgegen. Scherzkeks!
Ich schleiche mit schlotternden Knien an der Meute vorbei und bin vermutlich noch nie so schnell einen Berg hochgelaufen wie hier. Bald komme ich am Römerturm vorbei (dort treffe ich nur noch rüstige Rentner – ungefährlich) und dann gelange ich an einen Wegweiser zum nächsten Biergarten, der einfach ein unschlagbares Argument vorbringt.
Eigentlich bin ich ja gar nicht hungrig und ich hab ja auch noch mein Frühstücksbrötchen dabei… aber der Biergarten so mitten in der sonnigen Landschaft ist einfach zu verlockend und so gönne ich mir noch ein Stück Kuchen und eine Apfelschorle. Und Humor haben sie hier auch noch, was will man mehr.
Danach geht es eigentlich nur noch bergab, im Bogen zurück in den Ort und zur Abtei Sayn. In der Abtei habe ich nämlich ein Zimmer gebucht – und zwar für zwei Nächte, denn morgen gönne ich mir einen Ruhetag.
Nach einer Dusche suche ich mir etwas zum Abendessen und finde ein paar Meter weiter den Lindenhof, in dem morgens auch das Frühstück serviert wird. Draußen ist noch Platz frei und so bestelle ich mir was zu Essen. Innerhalb kürzester Zeit ergibt sich mit den vier besetzten Tischen draußen ein Gespräch, bei dem ein Wort das andere gibt und ein Spruch auf den nächsten folgt – und binnen weniger Minuten lachen wir alle Tränen. Ach ja, und das Essen ist auch grandios. Ein großartiger Ausklang für einen herrlichen Tag.
Gesamtanstieg: 491 m
Gesamtabstieg: -514 m
Gesamtzeit: 06:15:38