Es ist mal wieder ein Wanderwochenende angesagt – und diesmal habe ich mir ein Teilstück des Europäischen Fernwanderweges E1 vorgenommen. Der führt auf gut 8.000 Kilometern vom Nordkap bis nach Süditalien einmal längs durch Europa und durchquert nach gut der Hälfte seiner Strecke auch den Taunus, läuft also quasi durch meinen Garten. Für dieses Wochenende habe ich mir den ersten Teil des Taunus-Abschnitts vorgenommen, der in Nassau (Lahn) startet. Vorgesehen sind für den Abschnitt zwischen 4 und 6 Etappen. Ich orientiere mich aus logistischen Gründen zunächst mal an der 4-Etappen-Version. Die ersten zwei davon sind jetzt fällig. Vor mir liegen 64 Kilometer.
Frühmorgens geht es mit dem Auto zunächst nach Idstein. Dort will ich das Auto auf dem P+R stehen lassen und mit der Bahn (bzw. aktuell mit dem Schienenersatzverkehr) weiter. Leider hatte ich vergessen, dass ich erst mal tanken muss und da es eh schon knapp war, schreibe ich den geplanten Bus schon ab. Mist. In Idstein angekommen, stelle ich das Auto ab, setze den Rucksack auf und gehe los, um nachzusehen, wo hier der SEV abfährt. Da sehe ich plötzlich einen Bus ankommen und renne auf gut Glück los. Und ich habe wirklich „gut Glück“, denn das ist tatsächlich der etwas verspätete SEV-Bus nach Limburg. Yeah!
Im Bus buche ich mir erst mal mein Ticket und dann hab ich Gelegenheit, abzuschalten. Fast eine Stunde dauert die Fahrt nach Limburg, wo ich umsteigen werde in die Bahn nach Nassau (Lahn). Der Wetterbericht für dieses Wochenende sieht leider einigermaßen bescheiden aus: es soll heute am Vormittag stark und am Nachmittag leicht regnen – und morgen am Vormittag leicht und am Nachmittag stark. Na großartig. Aber wie heißt es so schön unter Thru-Hikern: embrace the suck! Immerhin ist der Regen – noch – nicht so stark wie befürchtet.
In Limburg habe ich etwas Umsteigezeit und gönne mir beim Bäcker erst mal einen heißen Kaffee. Außerdem wird das Gepäck noch mit einer zusätzlichen Flasche Wasser aufgefüllt (ich hatte nur noch eine zu Hause) und zwei leckere Teilchen finden auch noch Platz im Rucksack. Mit der Bäckersfrau gibt es noch den typischen Schnack über Corona, Masken und Kunden, die sich nicht an Abstandsregeln halten. Und dann geht meine Fahrt weiter. Und zwar immer an der Lahn entlang, die eingebettet zwischen den Taunushöhen durchs Lahntal fließt. Wunderschön ist es hier – und in meinem Kopf reift schon ein Plan, hier auf der Lahn irgendwann mal kanuwandern zu gehen. Eine halbe Stunde später steige ich in Nassau (Lahn) aus und stehe wenige Schritte später auf dem E1, der hier auf einer Brücke über die Lahn führt. Es ist 10:20 Uhr, als ich meine Etappe starte. Vor mir liegen heute 33 Kilometer.
Es tröpfelt nur leicht und so starte ich meine Wanderung frohen Mutes. Zunächst geht es ein Stück an einer größeren Straße entlang, aber bald schon biegt die Strecke in den Wald ab und führt oberhalb der Lahn entlang. Dummerweise bleibt der Weg eine asphaltierte Straße. Wer zum Teufel baut Straßen in den Wald??
Nach drei Kilometern ist es elf Uhr und höchste Zeit für etwas zu Essen. An einem kleinen Bach schmeckt das von zu Hause mitgebrachte Brötchen hervorragend. Und weil ich inzwischen warmgelaufen bin, ist das auch eine gute Gelegenheit, das Fleece loszuwerden. Bei knapp 10°C reicht beim Wandern ein langes Shirt – und heute eben die Regenjacke.
Die Straße schlängelt sich noch eine ganze Weile weiter durch Wald und Wiesen, bis sie nach rund sieben Kilometern am Kloster Arnstein ankommt. Sofort lacht mich ein Schild an, auf dem angepriesen wird, dass die Klosterschwestern Kaffee und Kuchen to go anbieten. Das kommt wie gerufen und so führen mich meine Schritte in das Kloster. Schon wieder eine Pause? Na hömma, es gibt Kuchen!
Nach dieser Stärkung geht es zunächst bergab in den kleinen Ort Obernhof und dann wieder kräftig bergauf aus dem Ort hinaus. Und nun endlich endet auch der asphaltierte Weg und nach nunmehr acht Kilometern komme ich endlich auf Waldwege. Herrlich windet sich der Weg immer ein wenig auf und ab durch den Wald und über die Berge des Taunus. Zwischendurch eröffnet sich immer wieder Blick auf das Lahntal. So lassen sich die Kilometer hervorragend abarbeiten, so macht das Spaß.
Irgendwann hört der Regen fast ganz auf – und ich kann endlich die Regenjacke loswerden, unter der es beim Bergaufgehen einfach viel zu warm ist. Und dann hab ich sogar einen kleinen Bach zu furten, der über den Weg fließt – #abenteuer!
Auf einem besonders schönen Abschnitt treffe ich dann erstmals heute auf Menschen – was unweigerlich zu Gesprächen führt. Eine Frau möchte ganz viel über den E1 und meine Wanderung wissen (ich fühle mich ein bisschen wie ein Betrüger, weil ich ja erst mal nur 2 Etappen gehe).
Ein Stück weiter sprechen mich dann zwei Männer an, die ihrerseits auch schon mal ein Stück des E1 gegangen sind (von irgendwo nach Darmstadt) und gemeinsam in Erinnerungen schwelgen. Ein Stück gehen wir zusammen und unterhalten uns. Das Schwatzen ist sehr nett, aber ich hab noch 18 Kilometer vor mir und darum verabschiede ich mich und laufe in meinem Tempo weiter.
Der Weg führt immer an der Lahn entlang – wenn auch etwas oberhalb auf den Bergen. Irgendwann geht es mal wieder bis runter ins Tal, nur um eine Straße zu queren und auf der anderen Seite fies steil wieder rauf zu gehen. Mit inzwischen 20 Kilometern in den Knochen und leider auch schon wieder Hunger im Magen bringt mich der Anstieg tatsächlich an meine Grenzen. Ich bleibe alle paar Meter stehen und schnappe nach Luft und es kostet mich echt Willen, weiterzugehen. Dummerweise ist nämlich auch kein Ende in Sicht. Aber da wir uns ja nur im Taunus befinden, kann es nicht endlos bergauf gehen und so ist auch dieser Anstieg irgendwann geschafft. Und oben wartet doch tatsächlich eine herrliche Pausengelegenheit auf mich, die wie gerufen kommt. Zeit für eine Pause, für endlich was essen und Flüssigkeit nachkippen.
Nach der Pause geht es deutlich besser. Dummerweise fängt es aber wieder an zu regnen und kälter wird es auch. Also Regenjacke wieder raus und weiter geht’s. Ein Stück recht eben über Wiesen und Felder, dann durch den kleinen Ort Steinsberg und dann wieder in den Wald.
Am Waldeingang treffe ich auf eine Art Wunschbaum, der scheinbar die Wünsche vom Jahreswechsel trägt. Na ja – das Jahr hat ja noch etwas Zeit, um die Wünsche zu erfüllen… noch sieht’s ja nicht so rosig aus.
Kurz darauf komme ich an eine kleine Brücke über einen Bach. Ich habe noch einen dreiviertel Liter Flüssigkeit dabei und noch rund elf Kilometer vor mir. Und natürlich brauche ich auch fürs Abendessen und fürs Frühstück noch Wasser. Ich muss also in jedem Fall Wasser nachladen. Die große Preisfrage ist nur: wann? Ich will das Zusatzgewicht natürlich so wenig wie möglich umsonst durch die Gegend tragen – aber andererseits auch nicht Gefahr laufen, an keinem Wasser mehr vorbeizukommen. Also beiße ich in den sauren Apfel und fülle mir hier am Bach zwei Liter Wasser ab. Das sollte reichen, bis ich morgen wieder irgendwo an Wasser komme.
Nun wird es etwas zäh. Mit erhöhtem Rucksackgewicht und 22 Kilometern hinter mir, merke ich nun doch langsam die Füße und die Muskeln. Zu allem Überfluss ist die Temperatur jetzt so, dass ich bergauf die Regenjacke ausziehen muss, um nicht zu schwitzen, aber sobald die Steigung nachlässt es so kalt wird, dass ich sie wieder anziehe. Tröpfeln tut es auch gelegentlich.
Da ist es ja immer gut, wenn die Motivation etwas Aufschwung durch Ablenkung erhält. Und so ist es sehr praktisch, dass der Weg an… Moment… Hogwarts vorbeiführt??
Hogwarts?
Natürlich ist es nicht Hogwarts, sondern Schloss Schaumburg auf dem Balduinstein. Aber es lässt die Phantasie schweifen und das tut gut.
Kurz danach bin ich wieder im Wald und stehe auf einmal vor einem Absperrband. Wie jetzt? Der E1 gesperrt? Kein Hinweisschild, keine Umleitung, nix. Ein Blick auf die Karte verrät, dass jede Umgehung zweistellige Umweg-Kilometer bedeuten würde. Inakzeptabel. Also unter der Absperrung durchducken und weiter geht’s.
Ein paar Meter weiter weiß ich auch, warum der Weg gesperrt ist. Offenbar hat der Borkenkäfer hier so zugeschlagen, dass es massig Bäume gefällt hat. Und die wurden noch nicht weggeräumt. Also muss ich immer wieder über Baumstämme klettern, die quer über den Weg liegen – oder einen größeren Bogen machen, falls die ganze Baumkrone auf dem Weg liegt. Trotzdem besser als mehrere Kilometer Umweg. Und nach ein paar hundert Metern ist es auch schon geschafft.
Weiter geht es über Wiesen und vorbei an der Feldkirche Habenscheid. Hier hat ein lustiger Zeitgenosse ein paar Schnitzereien und anderes aus Holz gearbeitet und ausgestellt – wieder etwas zum Schmunzeln, was der Motivation gut tut.
Nun sind es nur noch sieben Kilometer für heute. Leider beginnt nach einer Weile, als ich gerade auf einer großen freien Fläche rauskomme, wieder der Regen. Vor Schönborn kommt der Weg auf eine Straße – und auf dieser bleibt er für die nächsten Kilometer. Auf offener Fläche den Hang hinauf, durch Schönborn hindurch, und andere Seite weiter. Und der Regen wird immer heftiger, bis er ein ausgewachsener Landregen ist. Na toll. Triefend stapfe ich mit schmerzenden Füßen die doofe Straße entlang.
Dann endlich geht es für die letzten Kilometer noch einmal in den Wald und auch der Regen wird weniger. Jenseits von Kilometer 30 wird jeder Schritt sehr zäh. Doch dann ist es geschafft. Ich trete aus dem Wald heraus und schaue direkt auf den Hof Hohlenfels. Diesen Hof hatte ich beim Planen der Strecke entdeckt und angeschrieben, ob ich auf ihrer Wiese oder in der Gegend irgendwo mein Zelt für die Nacht aufstellen dürfte. Übernachtungen sind ja wegen Corona noch immer nicht möglich. Nun stehe ich auf dem Hof und Frau Krön und ihre beiden Hunde begrüßen mich. Und dann bietet sie mir an, statt im Regen auf der Wiese im Zelt, doch gerne irgendwo auf dem Hof im Trockenen zu biwakieren. Sie empfiehlt mir den Trockenraum für die Pferdedecken und so komme ich zu einer Nacht im Trockenen, mit fließendem Wasser und sogar einer Toilette. Mega!
Ich mache mir noch etwas zu essen und dann heißt es, ab in die Heia. Morgen geht’s weiter.
Gesamtanstieg: 991 m
Gesamtabstieg: -815 m
Gesamtzeit: 08:48:31
Wow, tolle Bilder trotz des miesen Wetters. Scheint eine schöner Wanderweg zu sein.