Heute geht es also ins Basislager auf knapp 4.700m – und dann noch eben zum Akklimatisierungs-Hike. Wir wagen uns mal wieder in für uns neue Höhen vor. Musste ja irgendwann passieren, wenn wir Afrika aufs Dach steigen wollen. Verrückter Gedanke, dass wir morgen früh um diese Zeit schon auf dem Gipfel stehen sollen.
Der Medical Check am Morgen sieht gar nicht so schlecht aus – und wir fühlen uns auch entsprechend gut.
Medical Check am Morgen:
- Befinden: 10/10
- Sauerstoff: 92
- Puls: 102
- Lunge: frei
- Kopfschmerzen: nein
- Übelkeit: nein
- Übergeben: nein
- Durchfall: nein
- Diamox: nein
Wir machen uns auf den (recht kalten) Weg – der natürlich ausschließlich bergauf geht. Und so ist es denn auch recht bald Zeit für eine Teepause. Da sich so langsam der Kalorienverbrauch bemerkbar macht, bin ich froh, dass ich noch einen Müsliriegel im Rucksack habe – ich hab ganz schön Hunger.
Die heutige Etappe ist mit nicht mal vier Kilometern echt nicht lang. Dank Höhe und fortwährender Steigung brauchen wir trotzdem bis zum Mittag, um uns bis ins Basislager vorzukämpfen. Da man hier in der Felswüste überall einen ziemlich uneingeschränkten Blick hat und wir auch sämtliche Wolken inzwischen weit unter uns gelassen haben, sieht man recht gut, welche Menschenmassen sich doch den Berg hinaufschieben.
Pünktlich zum Mittag kommen wir dann im Barafu-Camp an. Unsere Zelte befinden sich hinter einer Felsgruppe, über die wir zunächst etwas kraxeln müssen. Ein erster Überblick zeigt, dass sich das Camp elend weit am Berg hinauf zieht. Unsere Zelte stehen relativ weit unten. Ja genau – das bedeutet, morgen kein Vorsprung beim Gipfelsturm. Schade ;)
Neben unserem Zelt ist noch eine weitere Gruppe – die offensichtlich soeben den Gipfel hinter sich gebracht haben. Ein Mann spricht uns an und fragt, ob wir morgen auf den Gipfel gehen. Dann meint er völlig fassungslos: „Nobody told us it would be like THAT! It just never never never ended!“ Als ich ihn frage, ob er glaubt, dass das vorherige Nicht-Wissen ein Segen war, bejaht er. Er denkt kurz nach, merkt offenbar selbst, was er da gerade tut, schüttelt noch mal fassungslos den Kopf und krabbelt fix und fertig in sein Zelt. Na, das kann ja heiter werden…
Da sich auch das Registrierungshäuschen erst ein Stück den Berg hoch befindet, verschieben wir das Registrieren auf die spätere Akklimatisierungstour und es gibt zunächst mal Hot Shower, Abstauben und Mittagessen. Nach dem Essen haben wir etwas Zeit zum Ausruhen und dann geht es auf Akklimatisierungstour ins noch höher gelegene Kosovo-Camp. Das Kosovo-Camp liegt auf knapp 4.900m und dient einigen wenigen Touren als Basislager – da es keine eigene Infrastruktur mitbringt, muss nicht nur das Wasser noch weiter den Berg hinauf geschleppt werden, sondern es müssen auch zwingend portable Toiletten für alle (also nicht nur die Touris, sondern auch für die ganze Mannschaft) mitgebracht werden.
Doch zunächst einmal geht es ein Stück den Berg hinauf, immer weiter durch das Barafu-Camp, damit wir unser obligatorisches Foto machen und und ins Register eintragen können.
Wenn man hier ankommt, führt einem ein großes Schild noch mal sehr eindringlich vor Augen, was man da eigentlich vorhat:
Dear esteemed climbers, please read!
Do not push yourself to higher altitudes if you have breathing problems, persistant headache or any severe mountain sickness symptoms.
Local guides and park rangers are well aware of mountain hiking risks, please follow their advice!
Group leaders must abide to guide / park ranger instructions.
We all love the mountain. Let us make climbing safe by considering DESCENDING as a better option.
Schild an der Barafu Hut
Nach der Registrierung beginnt für uns der richtige Aufstieg zum Kosovo-Camp. Recht schnell merken wir, dass wir mit jedem Schritt neue Höhen erklimmen. Die Kopfschmerzen melden sich wieder – zwar leise, aber doch spürbar. Ich trinke und trinke, um der drohenden Höhenkrankheit vorzubeugen (und mein Wasser ist eiskalt).
Hatte ich sonst immer den Buff oder meinen heißen nepalesischen Mundschutz vor dem Mund, um die Atemluft etwas wärmer und nicht ganz so staubig zu halten, geht das gerade einfach nicht mehr. Etwas vor dem Mund zu haben, fühlt sich an, als würde ich noch weniger Luft bekommen. Da ich eh schon bei jedem winzigen Schritt den Berg rauf zweimal kräftig keuche, ist das keine gute Idee. Mit Blick auf die Erkältung, die ich mir durch sowas an der Annapurna eingefangen hab, hoffe ich inständig, dass sich das nicht rächt.
Als wir im Kosovo Camp ankommen, sind wir ziemlich k.o. Wir fragen uns, wie genau sich das morgen wohl anfühlen mag, wenn wir von hier aus noch mehr als tausend Höhenmeter vor uns haben. Besser nicht allzu genau drüber nachdenken (leichter gesagt als getan) und die Aussicht genießen.
Wir blicken ehrfürchtig zum Gipfel hinauf. Rashid erklärt uns während der Akklimatisierungspause, dass links von der linken Bergkante der Aufstieg verläuft und rechts davon die Bergsteiger wieder runter kommen. Tatsächlich kommen uns von dort ziemlich viele Menschen entgegen. Einige sehen ganz glücklich aus… andere sehen mehr tot als lebendig aus. Wir beglückwünschen jeden, der an uns vorbei läuft und beten, dass wir morgen zur ersteren Gruppe gehören mögen.
Ich bringe mein vieles Anti-Höhenkrankheits-Trinkwasser noch flugs hinter einen Felsen (ok, flugs ist maßlos übertrieben, weil jeder Schritt einfach sau-anstrengend ist – immer schön pole pole) und dann steigen wir wieder ab ins Basislager.
Dort gibt es ein ausführliches Briefing von Rashid und Stan. Wir werden um Mitternacht starten. Wir brauchen Stirnlampen und Ersatzbatterien. Wir sollen uns alles an Klamotten anziehen, was wir haben – es wird kalt. Richtig kalt. Wir werden immer zwei Stunden gehen und dann eine kurze Pause machen. Wir werden keine Pausen länger als 10 Minuten machen, weil es sonst zu kalt würde und wir müde sein werden. Pause machen bedeutet die Gefahr, einzuschlafen. Rashid wird vorne laufen, dann ich, dann Dominik, dann Stan. Rashid wird sehr regelmäßig fragen, wie es uns geht – und wir dürfen auf gar keinen Fall auch nur die kleinste Unpässlichkeit verschweigen. Wir sollen unsere Medikamente gegen Höhenkrankheit mitnehmen, unsere eigenen sind im Zweifel besser. Sie haben Notfall-Sauerstoff dabei, aber der ist für den Notfall – wenn wir den brauchen sollten, bedeutet das automatisch den sofortigen Abstieg. Sie werden Tee in Thermoskannen dabei haben, denn unser Wasser wird einfrieren (ihr habt isolierte Trinkschläuche – könnt ihr vergessen). Wir werden etwa sieben Stunden bis zum Stella Point brauchen. Der Stella Point ist auf dem Kraterrand, etwa 200m unterhalb des Gipfels. Dort gilt der Berg als bestiegen und wir werden als allererstes sofort ein Foto dort machen – denn wenn wir dann absteigen müssen, haben wir zumindest das. Danach können wir entscheiden, ob wir weiter bis zum Gipfel wollen oder nicht. Falls ja, ist das noch mal eine knappe Stunde weiter den Berg rauf. Ansonsten und im übrigen ist das alles halb so wild, wir sollen uns keine Sorgen machen und sie sind total zuversichtlich, dass wir das schaffen – das wüssten sie schon seit dem Lava-Tower recht sicher.
Bei dem Briefing rutscht uns das Herz in die Hose, wir bekommen leichte Bauchschmerzen und gucken uns stumm zweifelnd an. Dann empfiehlt Rashid auch noch dringend (sehr dringend), dass wir einen weiteren Träger mitnehmen, der mein Gepäck hochträgt. Er glaubt, dass ich keinen Spaß haben werde, wenn ich mein Gepäck selbst trage. Ich protestiere. Das Gewicht hat mich eigentlich nie gestört – und vor allem hab ich Angst, dass ich viel zu wenig trinke, wenn ich meinen Trinkschlauch nicht die ganze Zeit bei mir habe und wir nur alle zwei Stunden Pause machen. Ich denke an die Kopfschmerzen, die ich eben auf 4.900m schon hatte und mir wird schlecht. Aber Rashid lässt nicht mit sich verhandeln. Puh… der Kloß in meinem Hals ist gerade noch mal deutlich dicker geworden. Zum Gipfel ohne viel Trinken… nicht drüber nachdenken. Der Guide wird wissen, was er tut. Stand ja auf dem Schild an der Barafu Hütte.
Wir nutzen die Zeit bis zum Abendessen, um unsere Sachen für die Nacht zu sortieren und alles fertig gepackt zu haben, damit es nachts direkt losgehen kann. Beim Essen kriegen wir mal wieder kaum etwas runter und dann folgt nur noch der Medical Check.
Medical Check am Abend:
- Befinden: 9/10 (gehörig Respekt vor morgen)
- Sauerstoff: 83 (könnte besser sein, aber noch ok)
- Puls: 106 (noch 14 bis zur Grenze)
- Kopfschmerzen: nein
- Übelkeit: nein
- Übergeben: nein
- Durchfall: nein
- Diamox: nein
Um sieben liegen wir im Bett. Im Lager ist noch Gewusel und unsere Gedanken arbeiten auf Hochtouren. An Schlaf ist nicht zu denken. Selbst Ohrstöpsel ändern daran nichts. Dominik dämmert irgendwann ein wenig weg – ich liege wach und denke nach. Und denke… und denke… und dann rüttelt auch schon Sospeter am Zelt und „weckt“ uns.
Gesamtanstieg: 797 m
Gesamtabstieg: -100 m
Gesamtzeit: 07:19:22