Man könnte meinen, die angedrohte Weckzeit von 6:30 Uhr wäre irgendwie früh – aber da wir bereits seit etwa halb neun schlafen und unsere Mannschaft schon fleißig ist, sind wir längst vor dem Weckruf wach. Der Weckruf erfolgt durch Sospeter, der gleichzeitig ein Tablett mit heißem Wasser und Kaffeepulver, Tee und Kakaopulver an unser Zelt bringt. Mega – Kaffee ans Bett! So kann der Tag starten. Das einzig gemeine ist, dass der Tee, mit dem wir uns gestern Abend gewärmt haben, inzwischen dringend raus will. Also flink einen Kaffee getrunken und dann erst mal ins Klozelt. Dann machen wir uns fertig und packen schon mal die meisten Sachen. Gleichzeitig bringt Sospeter die „hot shower“ wieder.
Irgendwie sind über Nacht unsere (echt herrlich warmen) Schlafsäcke pitschnass geworden. Wir wundern uns etwas, weil es im Zelt eigentlich kaum Kondensation gab. Über die nächsten Tage werden wir herausfinden, dass sich die komplette Atemluft in der Kälte einfach auf die Schlafsäcke legt. Na gut – solange sie von innen trocken und warm bleiben… hoffen wir mal, dass es am Nachmittag immer noch Möglichkeiten gibt, sie zu trocknen.
Zum Frühstück gibt es Porridge, Toast, Omelett und Würstchen und etwas Obst – und wir gönnen uns wieder einen Kaffee. Im Land des Kaffees schmeckt verrückterweise sogar der Instant Kaffee ganz brauchbar. Nach dem Frühstück kommt Rashid wieder für den Medical Check und wir lernen, dass es morgens sogar die Deluxe-Version gibt: inklusive Abhören der Lungen, ob sich auch keine Flüssigkeit darin sammelt (das wäre ein sehr klares Anzeichen für Höhenkrankheit und ein drohendes Lungenödem). Von anderen Bergsteigern erfahren wir, dass sie das nicht haben – scheint also kein Standard zu sein. Spricht für unsere Agentur.
Medical Check am Morgen:
- Befinden: 10/10
- Sauerstoff: 96 (unverändert)
- Puls: 94 (+5, huiui)
- Lunge: frei
- Kopfschmerzen: nein
- Übelkeit: nein
- Übergeben: nein
- Durchfall: nein
- Diamox: nein
Jetzt ist mein Ruhepuls im Gegensatz zu meinem Blutdruck generell eher noch – aber das ist jetzt doch schon was mehr. Rashid erklärt, dass sich Sauerstoffgehalt im Blut und Puls in der Höhe oftmals konträr entwickeln – der höhere Puls wird gebraucht, um die Sauerstoffversorgung sicherzustellen. Nach der kritischen Grenze befragt, meint er, bei einem Puls über 120 würde es schon eher kritisch werden. Na, dann hab ich ja noch sagenhafte 26 Schläge Luft – räusper. Ich beschließe, den Kaffee ab sofort durch Tee oder Kakao zu ersetzen.
Als wir aufbrechen, laufen wir wieder durch herrlichen Bergregenwald. An den Bäumen hängen überall Lianen, Bromelien oder Flechten herab. Abrahams Bart nennen sie die herabhängenden Flechten – irgendwie ziemlich passend.
Ich hatte ja schon geschrieben, dass wir den Aufstieg ohne Diamox schaffen wollen. Darum ist es für uns noch mal wichtiger, viel zu trinken. Viel Flüssigkeit hilft dem Körper bei der Akklimatisierung. Wir nuckeln also fleißig an unseren Trinkblasen und geben uns viel Mühe, die drei Liter wegzutrinken. (Gestern haben wir nämlich entgegen unserer Einschätzung noch nicht mal die Hälfte geschafft.) Leider zeigt sich auch recht bald die Kehrseite dieses Ansatzes – wir brauchen dringend eine Bio-Break, oder auf profan eine Pinkelpause. Unsere Guides suchen eine offenbar hierfür übliche Stelle aus – und so zeigt sich das erste Mal sehr deutlich, was es bedeutet, wenn täglich mehrere hundert Leute einen Berg besteigen. Das Waldstück sieht ein paar Meter abseits des Weges wirklich aus wie ein riesiges Freiluftklo. Unmengen menschlichen Unrats und Klopapiers liegen in der Gegend herum. Es riecht entsprechend. Schnell weg hier.
Irgendwann verlassen wir den Bergregenwald und die Landschaft geht – tatsächlich relativ plötzlich – in die Vegetationszone „Moorland“ über. Hier herrschen jetzt kleine Sträucher und sowas vor, Bäume gibt es praktisch nicht mehr. Dafür wird es recht frisch und windig und zwischendurch ziehen immer wieder Wolken über uns hinweg, an uns vorbei und durch uns hindurch. Eine Snackpause wird entsprechend frisch und ich ziehe die Daunenjacke über, solange wir uns nicht bewegen.
Aber: als wir um eine Ecke kommen, können wir plötzlich das erste Mal einen Blick auf den Gipfel erhaschen! Unfassbar gewaltig steht da dieser Berg vor uns, auf den wir hinauf wollen. Hoch. Weit weg. Steil. Kalt. Und irgendwie… zum Greifen nah. Ich bin ein bisschen aufgeregt. Jetzt nimmt unser Ziel endlich Gestalt an. Wird von einer Vorstellung zu etwas Realem. Ich habe ein echtes Ziel :)
Von hier aus können wir – wenn nicht gerade eine Wolke im Weg hängt – dann auch schon die Ausläufer unseres heutigen Ziels sehen: das Shira 1 Camp. Es liegt praktisch unterhalb unserer aktuellen Position – und so ist es nicht mehr weit, bis wir dort gegen halb zwei auch ankommen.
Wir tragen uns wieder ins Camp-Register ein und werden dann zu unserem Zelt gebracht. Der ganze Zeltplatz ist, wie auch schon das letzte Stück des Weges, sehr staubig. Darum passiert jetzt etwas neues: unser Campmaster begrüßt uns mit einem Lappen und dann beginnt der Abstaub-Service. Das sieht so aus, dass er uns vom Knie abwärts praktisch mit dem Lappen verprügelt und so den Staub aus unseren Klamotten schlägt – großartig! :D
Danach gibt es wieder die Hot Shower und anschließend gleich Mittagessen. Rashid erklärt uns, dass es heute keine Akklimatisierungstour gibt, weil in der Umgebung alles flach ist. Dafür würde er uns um 16:00 Uhr die Crew vorstellen. Bis dahin könnten wir gerne ausspannen oder auch ein bisschen spazieren gehen, wenn wir denn wollten. Das macht Dominik dann auch direkt – während ich es mir vor dem Zelt ein bisschen in der Sonne bequem mache.
Schließlich ist es 16:00 Uhr und wir versammeln uns zur Vorstellung unserer Mannschaft. Da mir schon so etwas schwant, lege ich die Kamera bereit und drücke mal auf Aufnahme. Es fängt ganz harmlos an, indem wir unsere Leute einzeln namentlich vorgestellt bekommen. Mit ihrer jeweiligen Funktion. Franky als Koch, Sospeter als Kellner, Christopher als unser Klo-Mann… dann gibt es da noch den Campmaster und dann jede Menge Träger. Das richtig Coole kommt aber, nachdem wir uns alle vorgestellt haben:
Danach gehen wir noch einmal etwas spazieren (und machen bestimmt noch so zehn Höhenmeter).
Anschließend schauen wir – ergibt sich irgendwie zufällig – im Küchenzelt vorbei. Dort bekommen wir sofort Sitzplätze angeboten (die Träger geben ihre Sitz-Eimer frei und lassen sich das auch nicht ausreden) und können Franky ein wenig beim Kochen zusehen. Wir löchern ihn mit Fragen (Rashid hilft beim Übersetzen) und überschütten ihn mit Lob zu seinen Kochkünsten – und natürlich zu seiner Gesangsperformance. Er macht den Job des Kochs inzwischen seit fünf Jahren, erfahren wir.
Und dann ist es auch schon Zeit fürs Abendessen inklusive dem zugehörigen Ritual, bestehend aus Briefing, Medical Check und Wärmflaschenhäschen :)
Medical Check am Abend:
- Befinden: 10/10
- Sauerstoff: 87
- Puls: 99 (urks)
- Kopfschmerzen: nein
- Übelkeit: nein
- Übergeben: nein
- Durchfall: nein
- Diamox: nein
Gesamtanstieg: 1019 m
Gesamtabstieg: -232 m
Gesamtzeit: 06:43:16