Aufstieg auf den Tolbatschik

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Die Nacht im Zelt war einigermaßen frisch (gut, dass wir die Inlets für den Schlafsack als zusätzliche Wärmeschicht dabeihaben) und der Wecker klingelt erbarmungslos um fünf Uhr. Wir packen uns dick ein und schnappen uns die gestern Abend noch gepackten Rucksäcke für den heutigen Aufstieg auf den Tolbatschik. Während des Frühstücks wird es draußen heller und tatsächlich präsentiert sich uns ein strahlend blauer Himmel. Anton hatte mit seiner Wetterprognose offenbar Recht. Frühstück gibt es um halb sechs – und da Tanja der Meinung ist, dass wir für die Wanderung ordentlich Kräfte brauchen, stellt sie jedem einen Teller Nudeln mit Tomatensauce vor die Nase. Inklusive Knoblauchduft ist das um diese Uhrzeit schon eine kleine Herausforderung, der sich nicht jeder in der Gruppe stellen mag, aber was soll’s… Essen hab ich ja noch nie wirklich verschmäht. Wir bekommen jeder noch Verpflegung für unterwegs: zwei riesige belegte Brote, einen Apfel und ein Tütchen mit Nüssen, Trockenobst, einem Schoko- und einem Obstriegel. Dazu noch das Wasser und dann geht’s mit dem Kamaz um sieben Uhr los zum Berg.

Nach einer dreiviertel Stunde Fahrt sind wir am Startpunkt der Wanderung angekommen. Das Panorama, das sich vor uns auftut, ist gigantisch. Der Aufstieg, den wir vor uns haben, allerdings auch. Denn bereits kurz hinter dem Startpunkt liegt Schnee. Wir befinden uns auf 1.418 m. Und nein – nicht so ein kleines bisschen Restschnee. Sondern richtig Schnee. So, dass man immer mal wieder knietief einsinkt. Ungewöhnlich viel Schnee für diese Jahreszeit, sagen uns auch die Bergführer. Unser Ziel: der Kraterrand des Tolbatschik auf 2.860 m. Gut, dass wir Gamaschen dabei haben.

Nach den ersten Schneefeldern laufen wir ein ganzes Stück über ein schneefreies Lavafeld. Hier legt Anton viel Wert darauf, dass wir genau hinter ihm laufen. Tatsächlich ist auf der schwarzen Lava sogar ein Weg markiert, den man tunlichst einhalten sollte. Oft genug hört man sogar beim Laufen, dass es hohl klingt. Die fließende Lava kühlt eben zuerst an der Oberfläche aus und erstarrt, während sie darunter oft noch weiterfließt – so entstehen Röhren oder andere Hohlräume. Zerbrechliche Gebilde. An vielen Stellen dampft und qualmt es – und riecht nach Schwefel. Absperrungen? Geländer? Hinweisschilder? Warnungen? Nein – hier ist Natur und hier darf sie sein. Wer nicht auf seinen Bergführer hört, hat es nicht besser verdient.

Anton erklärt wieder viel über Vulkanismus und den Ausbruch, der zu den aktuellen Gegebenheiten geführt hat. Ach ja – er war natürlich live dabei :)

Nach dem Lavafeld haben wir uns warm gelaufen und es beginnt der eigentliche Aufstieg. Und zwar durch Schnee. Neuschnee. Pulverschnee. War er unten noch knietief, versinken wir hier immer wieder bis zur Hüfte. Das Fortkommen ist extrem mühsam. Vom Himmel brennt gnadenlos die Sonne, von unten reflektiert der Schnee. Sonnenbrille ist gut – Gletscherbrille wäre besser. Und erwähnte ich den Schnee?

Das Wetter unterwegs ist typisch Berge. In einem Moment brennt die Sonne – im nächsten Moment kommt eine Wolke vorbei und es wird empfindlich kalt. Zum Glück hält die Sache mit den Wolken nie lange – es herrscht einfach traumhaftes Wetter.

Bei einer Pause braucht es einiges Zureden und ein paar von Reginas Jelly Beans, um Mamas Turbo wieder aufzuladen. Wir stapeln etwas von ihrem Gepäck in meinen Rucksack um und weiter geht’s. Durch hüfthohen Pulverschnee. Bergauf. Sonne brennt. Frisur sitzt. Nach etwa 900 von 1.400 Höhenmetern helfen wieder einmal Jelly Beans – diesmal wird Giselas Turbo noch mal gezündet und Simon schnappt sich ihren Rucksack. Es entsteht ein neuer Insider, denn wir malen uns aus, dass auf dem Tolbatschik oben ein Starbucks sei und Giselas Lieblingssänger (Harry Belafonte war es, glaub ich) dort heute seinen großen Auftritt hat. Mehr als genug Gründe also, weiterzugehen.

Die letzten 200 Höhenmeter werden noch einmal echt eklig, weil es wirklich steil wird. Aber Anton, der mit den ersten schon eine Weile oben ist, hat uns extra einen Zickzackweg durch den Schnee gespurt und Adrian kommt uns das letzte Stück sogar noch mal entgegen, um uns anzufeuern. Und eh wir’s uns versehen, sind wir am Kraterrand angekommen. Stolz wie Bolle. Dass eine ganze Gruppe geschlossen oben ankommt, so erzählt mir Lena auf dem Rückweg, hat sie nämlich erst das vierte Mal erlebt. Und das trotz des Schnees. Da haben wir nun wirklich allen Grund, stolz zu sein. Unfassbarerweise haben Jak und Simon sogar ein Gipfelbier hier hochgeschleppt, das nun die Runde macht. Yes! Danke Jungs!

Losgelaufen waren wir viertel vor acht am Morgen – inzwischen war es viertel vor fünf am Nachmittag. Wir hatten neun Stunden auf den Gipfel gebraucht. Ausgehend von den zwölf Stunden, die Anton gestern veranschlagt hatte, blieben uns also nur noch drei Stunden für den Abstieg. Nie im Leben…

Noch ein Gruppenfoto am Kraterrand, eine Trinkflasche mit Tolbatschik-Schnee gefüllt, ein letzter Blick hinauf zum 3.682 m hohen Gipfel des Tolbatschik, und dann abwärts. Es geht den gleichen Weg zurück wie beim Aufstieg. Leichter ist er leider nicht geworden. Der Schnee bricht trotz schon vorhandener Spur immer wieder ein. Dazu kommt die Müdigkeit, die sich nun doch bemerkbar macht. Tapfer kämpfen wir uns weiter – und kommen um 21:47 Uhr nach exakt 14 Stunden Wanderung abgekämpft und mit schmerzenden Füßen, aber stolz und glücklich am Kamaz an.

Schenja wirft die Heizung an, denn inzwischen ist es draußen nicht nur dunkel, sondern auch recht kalt. Ich ziehe über das Fleece auch noch die Daunenjacke, ziehe die Kapuze auf und die Handschuhe an – und fange trotzdem dermaßen an zu frieren, dass es nicht mehr nur an der Temperatur liegen kann. Im Lager setze ich mich zitternd an die Feuerstelle und trinke heißen Tee. Dann noch Tanjas heiße Suppe dazu – und ich taue wieder auf. Meine Flasche mit Tolbatschik-Schnee ist erst zu einem Drittel aufgetaut – ich lege sie ins Außenzelt. Im Abendgebet erklärt Anton, dass er stolz auf uns ist. Und dass das Wetter morgen nicht mehr so gut wird, aber wir trotzdem eine leichtere Wanderung machen. Auf einen oder zwei der umliegenden Vulkankegel. 300 Höhenmeter… ein Spaziergang. Noch einen Dr. Augustin als Schlummertrunk (brrr) und dann fallen wir gegen Mitternacht tot in unsere Schlafsäcke.

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