Chaostag

Veröffentlicht am

Am Donnerstag trainieren die Kinder die Buchstaben O / o und U / u. In der Zwischenzeit werde ich mit der verantwortungsvollen Aufgabe betraut, den (künstlichen) Weihnachtsbaum im Klassenraum aufzubauen und zu schmücken. Ich tue mein bestes und bin mit dem Ergebnis denn auch recht zufrieden.

Danach wechseln wir zu Mathematik und sie dürfen sich an meinen Additionspyramiden, kurzerhand Pyrámides de Matemáticas getauft, versuchen. Ich rechne dazu ein Beispiel an der Tafel vor. Die Kids sind nicht dumm und merken sich genau, welche Zahl ich in welches Feld der Pyramide schreibe und als wir das Beispiel noch einmal gemeinsam rechnen und ich diesmal jeweils ein Kind eine Zahl eintragen lasse, kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen. Na wartet, denke ich mir und schieße zurück mit der Frage nach dem Warum. Tja, da stehen sie nun. Die erste Reaktion ist, ihre eigene (korrekte) Antwort zu hinterfragen. Nachdem ich sie also überzeugen kann, dass ihre Antwort richtig ist, ich aber wissen will, wie sie darauf kommen, sind sie völlig verloren und ich erkläre das ganze Procedere von vorne. Das ganze wiederholt sich dreimal (so viele Felder sind auszufüllen). Dann teile ich eine Kopie mit zwei Pyramiden aus, deren erste identisch ist mit dem Beispiel, das wir gerade gemeinsam gemacht haben. Entsprechend schnell ist es von den meisten ausgefüllt. Das zweite Beispiel wartet allerdings mit anderen Zahlen auf, so dass sie nun tatsächlich darüber nachdenken müssen. Die meisten kriegen es allerdings relativ schnell auf die Reihe und die Pyramiden füllen sich. Gewohnheitsgemäß wird anschließend angefangen, die Kästchen der Pyramiden zu kolorieren.

Gegen Mittag kommt ein Englisch-Lehrer vorbei und will den Kids ein wenig Englisch beibringen. Natürlich geht das über einzelne Vokabeln nicht hinaus und erscheint mir reichlich sinnlos. Zum einen, weil die Kids nun völlig durchdrehen und jede Aktion, die der Lehrer andeutet (running, dancing etc.) quer durch den Raum nachmachen und dazu lautstark kommentieren. Zum anderen aber, weil der Lehrer selbst offenbar nie mit jemandem gesprochen hat, der mal mit einer englischsprachigen Person in Kontakt war. Sein Englisch ist so unverständlich und falsch, dass ich ernsthafte Probleme habe, aus seinem „Wommaduui“ (oder so ähnlich) nach einiger Zeit ein „What am I doing“ herauszuhören.

Auf jeden Fall ist dieser Tag das völlige Chaos. Die Kids sind einfach nicht ruhig zu bekommen, die Arbeitsmoral tendiert stark gegen null und einige testen ganz klar ihre Grenzen bei mir aus, indem sie meiner Aufforderung, ihre Aufgaben zu machen, mit einem frechen Nein begegnen. Da ich den Kids gegenüber nichts in der Hand habe, ist es notwendig, dass die Lehrerin einschreitet und mit Elterngesprächen und schlechten Noten droht (was für etwa 10 Sekunden hilft).

Am Ende des Tages ist aber auch sie völlig fertig und wir sind uns einig, dass etwas geändert werden muss. Darum schlage ich vor, den Kids eine Aufgabe zu geben, mit der sie gezwungen sind, als Team zu arbeiten, damit dieses unerträgliche Gegeneinander Ankämpfen aufhört. Wir hocken also noch eine ganze Weile zusammen, bis wir eine Idee ausgeheckt haben, was für die Kids von ihren Fähigkeiten her machbar ist, trotzdem nur als Gruppenarbeit wirklich funktioniert und eine gewisse Kommunikation untereinander erfordert. Dann beschließen wir, erstmal Mittag essen zu gehen (meine Gastfamilie macht sich sicherlich schon Sorgen, weil ich so arg spät dran bin) und uns anschließend zur Vorbereitung der Aufgabe wieder zu treffen. Gesagt, getan und so sitzen wir am Nachmittag zusammen und bereiten große Skizzen vor, die die Kinder dann in Gruppen bearbeiten und mit verschiedenen Materialien ihrer Wahl kolorieren und ausschmücken sollen. Zur Verfügung stehen Wolle, Krepppapier, Watte, farbiges Papier, Moosgummi, verschiedenes Glitterzeug, Malfarben, bunte Holzstäbchen und diverse Stifte. Die Skizzen, die wir aufmalen, umfassen ein Haus, einen Weihnachtsbaum, eine Sonne mit Wolke, ein Boot mit Seelöwe, eine Schildkröte, einen Schmetterling, ein Auto und eine Blume. (Das heißt für mich, alles an künstlerischen Fähigkeiten aufzufahren, was je ein Kunstlehrer geschafft hat, mir beizubringen.) Am Ende sind wir zufrieden mit unserem Ergebnis, bereiten die Materialien vor und ergänzen die Maßnahme um den Beschluss, morgen eine Veränderung der Sitzordnung vorzunehmen, um ein paar Unruheherde aufzulösen.

Anschließend reden wir noch lange über die verschiedenen Probleme, die die Kinder haben und wie man ihnen begegnen könnte. Ich habe in den letzten Tagen und Wochen oft die Sinnhaftigkeit solcher Freiwilligenarbeit angezweifelt, insbesondere da mir jede Qualifikation und Erfahrung in der Kindererziehung fehlt, aber in diesem Augenblick fühle mich als wirklich geschätzte Unterstützung und weiß, dass es einen Sinn hat. Wir verlagern unsere Gespräche ins Mockingbird nahebei und trinken noch gemeinsam einen Kaffee. Als die Lehrerin sich auf den Weg macht und ich einen weiteren Kaffee genieße und mich im Skype umtue, kommt Natasja (eine Freiwillige aus den Niederlanden) vorbei und wir verbringen den Rest des Tages mit Diskussionen über Lösungsansätze für verschiedene Situationen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert